Cyberbedrohungen
NIS2: EU-Verfahren als Weckruf?
Die EU hat wegen der schleppenden Umsetzung der NIS2-Direktive ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Dabei ist es höchste Zeit, den Weg zur „Cybernation“ konsequent zu gehen.
Ein Kommentar von Dirk Arendt
Die EU hat wegen der bisher nicht erfolgten Umsetzung der NIS2-Richtlinie sowie der Richtlinie über die Resilienz kritischer Infrastrukturen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Angesichts der Verzögerungen im Gesetzgebungsprozess in den vergangenen Jahren – die Richtlinie hätte bis zum 17. Oktober 2024 in nationales Recht umgesetzt werden müssen -- kommt das nicht wirklich überraschend – ist doch inzwischen mit einer NIS2-Umsetzung nicht vor Herbst nächsten Jahres zu rechnen.
Unabhängig von den nun einsetzenden – und ebenfalls erwartbaren – parteipolitischen Schuldzuweisungen halte ich die aktuelle Lage für äußerst bedenklich, sendet sie doch verheerende Signale nach innen wie nach außen. Wieder einmal vermittelt Berlin, dass das Thema Cybersicherheit keine Priorität genießt. Doch so schaffen wir weder eine zukunftsfähige Digitalpolitik noch eine erhöhte Abwehrbereitschaft gegenüber hybriden Bedrohungen.
Die Unsicherheit bleibt
Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise. Um diese erfolgreich zu überwinden, bedarf es einer umfassenden Transformation und zukunftsfähiger Aufstellung. Digitale Technologien sind dafür der Schlüssel zum Erfolg. Gleichzeitig stehen gerade diese Technologien immer stärker im Fokus von Cyberangriffen, die eine wachsende Bedrohung für die gesamte deutsche Wirtschaft darstellen.
Die bitkom-Studie zum Wirtschaftsschutz spricht eine klare Sprache: Die Zahl der digitalen Angriffe auf Unternehmen hierzulande stieg auch 2024 erneut an, wobei 74 % von von Datendiebstahl betroffen waren. Der jährliche Gesamtschaden infolge von Cyberkriminalität beträgt 178,6 Milliarden Euro. Die Unternehmen haben das erkannt und seien bereit, verstärkt in Cybersicherheit zu investieren, so die Studie weiter. Doch benötigen sie Planungssicherheit, um diese Investitionen zielgerichtet einzusetzen: Welche Maßnahmen müssen sie konkret ergreifen und welche Meldepflichten sind künftig zu erfüllen? Setzt der Gesetzgeber NIS2 im Wortlaut um, oder gehen die Regelungen sogar noch über die Vorgaben aus Brüssel hinaus? Das ist alles andere als unwichtig, wird die NIS2-Richtlinie doch große Teile der deutschen Wirtschaft betreffen (voraussichtlich etwa 30.000 Unternehmen).
Weiterhin nur „bedingt abwehrbereit“?
Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen (bzw. „wichtige“ und „besonders wichtige“ Einrichtungen) sind geeignet, massive Störungen zu verursachen und das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von Staat und Infrastruktur zu schädigen. Der Umfang dieser Regulierung zeigt, wie wichtig Cybersicherheit nicht mehr „nur“ für die Wirtschaft, sondern für unser gesamtes Gemeinwesen ist. Dabei handelt es sich nicht nur um abstrakte Überlegungen: Deutschland und Europa stehen im Fokus hybrider Bedrohungen. Die Zeitenwende konsequent zu Ende zu denken, bedeutet deshalb auch, eine effektivere „nach Stand der Technik“ ausgestattete Cybersicherheitsarchitektur für Staat, Wirtschaft und Bevölkerung zu errichten. Angesichts dieser Tragweite ist es zu begrüßen, dass die EU gerade diesen Bereich der kritischen Infrastruktur verstärkt reguliert, um das Schutzniveau in der gesamten Union zu erhöhen. In diesen Zeiten muss Europa wieder enger zusammenstehen – auch im Cyberraum.
Vermutlich ist es für die Verabschiedung der genannten Gesetze in dieser Legislaturperiode schon zu spät. Bleibt nur der Appell an die zukünftige Bundesregierung, dem Thema endlich den Stellenwert einzuräumen, den es verdient. Mit genügend Ressourcen, einer starken und effizienten Sicherheitsarchitektur -- unter Berücksichtigung der vielen berechtigten Einwände und Vorschläge von Experten aus Wirtschaft und Verbänden. Es ist an der Zeit, den Weg zur „Cybernation“ in einem starken Europa konsequent zu gehen!